Der blaue Lastwagen kommt alle zwei Woche nach San Juan. Vielleicht. Heute ist so ein Tag, wir haben riesiges Glück. Der blaue Lastwagen verkauft Früchte, Gemüse, Quinua und sonst noch allerlei Ramsch, der für Veloreisende eher unbedeutend ist. Wir stellen uns in die Schlange mit den Dorfbewohnern, auch für sie ist es die einzige Gelegenheit, in dieser Abgeschiedenheit an Frischprodukte zu kommen.
Dass man hier nach Preis einkauft merken wir erst, als wir statt 10 Rüebli plötzlich zwei Kilos in der Hand halten, Preis 10 Bolivianos (ca. 1.50 CHF). Wir decken uns mit Tomaten, Gurken, Mandarinen und Spanisch Nüssli ein, was dank der freundlichen Mithilfe der umstehenden Dorfbewohner dann auch reibungslos klappt. Für den Rest, Pasta, Avena, Schoggi usw. klappern wir die fünf bis sechs Shops im Dorf ab, eine Frau bäckt sogar frisches Brot für uns. Der Einstieg in dieses neue Land war etwas speziell. Nach zehn Tagen Einsamkeit und Ungewissheit, was uns in Bolivien wohl erwarten mag, ist es schön, in unserem ersten Bolivianischen Dorf anzukommen. Wir geniessen die Einsamkeit und unendliche Weite dieser Landschaft, aber das Land spürt man erst richtig durch Begegnungen mit Einheimischen. Wir fühlen uns auf jedenfall auch hier Willkommen und freundlich aufgenommen.Der Zufall will es, dass genau an diesem Abend sechs andere Velofahrer ebenfalls in San Juan nächtigen, vier von ihnen haben wir bereits einige Tage früher auf der Lagunenroute getroffen. Spontan treffen wir uns zum Bier und tauschen in babylonischem Sprachengewirr aus Spanisch, Französisch und Englisch Erlebnisse und weitere Reisepläne aus.
Unser Plan heisst Salar de Tunupa (oder Salar de Uyuni, wie er aus Marketinggründen auch genannt wird). Wir verabschieden uns am nächsten Morgen von der restlichen Velofahrerschar und machen uns auf Richtung Puerto Chuvica am Rand des Salars. Die Strasse führt vorbei an brachliegenden Kartoffel- und Quinua-Feldern, Lama-Herden und kleinen Dörfern. Bauern, Dorfbewohner und Autofahrer winken uns freudig zu wenn wir vorbeifahren, wir winken zurück. Auch für die armen Jungs im Militärcamp in Colcha K sind wir Attraktion und willkommene Abwechslung, als wir nach dem Weg fragen. Auf eine einheitliche Antwort können sie sich zwar nicht einigen, aber immerhin, die grobe Richtung wissen wir. Nach weiteren 20km Sand, Wellblech und starkem Gegenwind erreichen wir Puerto Chuvica, gewissermassen der Ausgangshafen für unser Salar-Abenteur. Im Hospedaje, das vollständig aus Salzblöcken gebaut ist, finden wir Unterschlupf und geniessen die grandiose Aussicht auf Salar und Sonnenuntergang vom Aussichtspunkt auf dem Hügel. Der Salar de Tunupa misst gut 12’000 Quadratkilometer, mehr als ein Viertel der Schweiz! Die Salzkruste ist dick und vollkommen flach, der Höhenunterschied auf der ganzen Fläche beträgt weniger als ein Meter. Unter Velofahrern geht das Gerücht, auf dem Salar seien die besten Strassen Boliviens. Mit grosser Vorfreude nach der gestrigen Holperstrecke rollen wir deshalb am anderen Morgen über eine Rampe hinaus aufs Salz. Die Isla Incahuasi liegt in der Mitte des Salars, ist Zwischenstopp für sämtliche Jeeptours und unser Tagesziel. Einzig, von unserem Ausgangspunkt – 40km entfernt – ist sie noch nicht zu erkennen, obwohl geschätzte 30 Meter hoch. Erdkrümmung sei dank. Aber mit GPS und Kompass ist die richtige Richtung schnell gefunden und wir rollen in der kalten Morgenluft ins unendliche Weiss hinaus. Es ist vollkommen faszinierend, dutzende von Kilometern auf ebener Salzkruste schnurgerade Richtung Horizont zu fahren. Nach einer Weile entdecken wir die Insel als kleinen Punkt, der nur sehr langsam grösser wird. Distanzen schätzen ist hier unmöglich, was aussieht wie 5km sind in Wahrheit noch 30km! Ab und zu sehen wir in der Ferne Jeeps vorbeifahren, ansonsten sind wir alleine in dieser weissen Wüste. Früh aufstehen hat sich einmal mehr bezahlt gemacht, am Morgen ist es noch praktisch Windstill und wir erreichen gegen Mittag die Insel. Nach dem Mitagessen geniessen wir die letzten wärmenden Sonnenstrahlen, am Nachmittag kommt kräftiger Wind auf und bläst dunkle Wolken über den Salar, wenn das mal nur nicht Regen bedeutet (der Salar wird dann praktisch unbefahrbar). Bei Don Alfredo und Aurelia, den ersten und einzigen festen Inselbewohnern, wärmen wir uns mit einem heissen Kaffee. Don Alfredo führt Buch über alle Velofahrer, die auf der Insel vorbeikommen. Der erste war vor 20 Jahren ebenfalls ein Schweizer, sechs dicke Bände sind seither gefüllt worden. Bis vor kurzem hat Don Alfredo die Velofahrer auch bei sich beherbergt. Das darf er zwar, aus was für Gründen auch immer, nicht mehr, erlaubt uns aber, unser Zelt vor seinem Haus, mitten auf der “Plaza” aufzustellen. Den Nachmittag verbringen wir mit Touri-Watching, die anderen Touristen machen das gleiche mit uns. Der Wind nimmt stetig zu, die Wolkendecke ist dicht und dunkel. Etwas bange schauen wir gen oben, doch ein Jeep-Fahrer beruhigt uns: “Mañana es otra dia”. Wir warten bis sich der grosse Rummel gegen Abend etwas legt und versuchen unser Zelt aufzustellen, bei dem starken Wind gar kein leichtes Unterfangen. Der junge Billetverkäufer organisiert schliesslich, dass wir im gleichen Raum wie er und ein Wächter schlafen dürfen. Wir lassen uns nicht zweimal bitten und verfrachten unser Bagage in den windgeschützten Raum mit bester Aussicht auf den spektakulären Sonnenuntergang, die goldene Kehrseite der Wolkenfracht. Neuer Tag, neues Glück, der Jeep-Guide hatte Recht. Uns erwartet ein Wolkenloser Himmel am nächsten Morgen. Von der Insel geht es 72km auf dem Salar in nordwestlicher Richtung nach Llica. Flach. Schnurgerade. Absolut einsam. Um uns nichts als Weiss. Wir schwanken zwischen absolutem Freiheitsgefühl und leichter Beklemmung ob der unendlichen Weite. Doch die Faszination überwiegt, und es macht riesigen Spass, mit leichtem Rückenwind übers Salz zu flitzen. Die letzten Kilometer bis Llica sind dann wieder eher etwas für steife Nackenmuskeln und wir erreichen Llica müde aber überglücklich. Der Ort ist uns sofort sympathisch und so beschliessen wir kurzerhand einen Ruhetag einzulegen, die weiteren Etappen versprechen nicht weniger anstrengend zu werden.
In unserem Hostel sitzen die Jungs an PC’s und gamen. In den Strassen sieht man Smartphones und Ohrstöpsel. In den Läden gibts es alles zu kaufen, was das Herz begehrt. In Llica weht bereits ein bisschen ein anderer Wind im Vergleich zu San Juan. Wir schlendern durchs Dorf, klappern nach und nach alle Läden ab, unterhalten uns mit den Ladenbesitzern.
Nebst dem Nötigstens finden wir noch allerlei leckere Knabbereien, z.b. Avas, getrocknete und gesalzene Bohnen.Mit Essen und Wasser vollgetankt gehts am anderen Morgen Richtung Salar de Coipasa, dem kleineren und weniger bekannten der beiden Salzseen. Die 45 km bis zur Auffahrt auf den Salar sind etwas zum Durchbeissen, viel Sand und Wellblech wechseln sich ab.
Dafür werden wir anschliessend mit der bezaubernden Glitzerpracht des Salars belohnt. Auf den ersten Blick sieht es aus wie Pulverschnee in der Sonne. Ausser dass man perfekt darauf Velofahren kann.
Es ist früh am Nachmittag und Windstill, und so wollen wir versuchen, noch heute bis zur Insel im Salzsee zu kommen. Da nicht von Touristen besucht, gibt es auf dem Salar de Coipasa praktisch keine Fahrspuren. Es fühlt sich an, als wären wir die ersten auf einer Pulverschneeabfahrt, genial. Nach gut der Hälfte kommt wie auf Knopfdruck kräftiger Wind auf, dem wir auf der weiten Ebene natürlich schutzlos ausgeliefert sind. Doch wir kommen der Insel schliesslich näher. Wir halten früh Ausschau nach etwas Windschutz zum zelten und kommen uns vor wie ein Segelschiff in stürmischer See auf der Suche nach einem geschützten Ankerplatz. Wir finden schliesslich den perfekten Spot, fast eine Höhle, windstill und mit genialer Aussicht auf den Sonnenuntergang und den Mondaufgang über dem Salar. Am anderen Morgen ist es nur noch ein Katzensprung bis Coipasa, dem kleinen Dorf auf der Insel. Hier müssen wir Wasser tanken, bei Doña Petronilla soll das einfach möglich sein, haben wir gelesen. Wir fragen uns durch und nach kurzer Zeit stehen wir in ihrem Hof. Kreuz und quer über den Hof sind Leinen gespannt, an denen Lamafleischstücke zum trocknen aufgehängt sind. Mittels Ziehbrunnen füllen wir erstmal ein paar Wasserflaschen auf, bevor sie uns zum Frühstück bittet. Unser Porridge-Topf ist zwar noch kaum verdaut, aber zu einer Tasse Kaffe sagen wir nicht nein. Einzig, bei einer Tasse Kaffe soll es nicht bleiben. Sie macht eine ganze Ladung frischer fritierter Brötchen für uns und Minuten später haben wir beide ein saftiges Stück Lamafleisch auf dem Teller. Gestärkt brechen wir auf und erhalten als Abschiedsgeschenk noch ein Stück getrocknetes Lama mit auf den Weg. Wir sind nun definitiv in Bolivien, bei Land und Leuten angekommen. Am frühen Nachmittag erreichen wir Sabaya, ein weiteres Etappenziel auf unserer Fahrt durchs Bolivianische Hinterland. Zum Znacht gibts Pasta mit Tomatensauce und Lamafleisch.

























Liebe Corinne und Marc
Es macht immer richtig Spass, Euren Kommentaren zu folgen und die eindrucksvollen und originellen Fotos zu bewundern! War nicht etwas durstig in der Salzwüste?
Wenn Ihr nach Bolivien kommt, so kann ich Euch Tihuanaco und gerade daneben Pula Puntu sehr empfehlen. Es Ausgrabungen einer nicht sicher datierbaren (Inca?)Stadt, die möglicherweise durch einen Tsunami vom Titicacasee zerstört wurde. auch hat es Steinbearbeitungen einer Präzision, die nicht erklärbar ist. Berühmt ist das Sonnentor. Umgekehrte tonnenschwere Blöcke mit Treppenstufen ‘auf dem Kopf’ wie auch Verglasungen lassen von-Dänikensche Gedanken aufkommen. Uebrigens wurde die Kathedrale von La Paz mit Steinblöcken aus Tihuanaco gebaut!
Wir wünsche Euch eine weiter gute, pannenfreie Reise ohne Platten und Kettenbruch!
Mit herzlichen Grüssen
Eure Annamaria und Urs
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Liebe Corinne,lieber Christoph,
ich war auch unterwegs in letzter Zeit, allerdings nur im Norden von Europa und in unseren Alpen. Damit fand ich erst jetzt wieder Zeit für eure nach wie vor spannende Reiseberichte. Wow! Ich verneige mich vor euren Leistungen. Zum Schluss noch herzliche Gratulation dem Christoph zum Geburtstag. Die Feier wird bestimmt in würdiger Umgebung stattfinden!
Herzliche Grüsse
Dora und Urs
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