Die Schotterpiste lohnt sich immer

Das Ufer verschwindet am Horizont, die rot leuchtenden Felsen fallen ins tief blaue Wasser und unsere Fähre bahnt sich ihren Weg durch die von Schaumkronen verzierten Wellen.

Eine Seeüberquerung als wäre es das Meer...

Eine Seeüberquerung als wäre es das Meer…

Sobald wir das nördliche Ufer des Lago General Carrera erreichen, leuchtet das Wasser türkisblau, der Wind bläst uns fast vom Deck und vermag auch das restliche Gewölck aufzureissen. So steuern wir mit Blick auf das imposante Bergmassiv des Cerro Castillos Puerto Ibañez an. Das wunderbare Freiheitsgefühl mit Sonne und Wind im Gesicht ist komplett, als wir am Hafen ankommen.

Wenig später sind alle unsere sieben Sachen in einem grossen Zimmer mit dunkelroten schweren Vorhängen, einem fast hippen violetten Nachttischlämpchen und einem massiven Holzschrank abgestellt. Im Gang knistert der Ofen. In der Küche klappern die Töpfe und das Geschirr. Die Stimmung im grossen Haus mit den hohen Räumen und den erstmals auf unserer Reise massiven Steinmauern hat sofort etwas ‘Heimeliges’. Kurz darauf sitzen wir mit Paty und ihrem Mann am Küchentisch und geniessen ein wunderbares Nachtessen mit einer Fisch-Gemüsesuppe, frischem Tomatensalat (die Region ist bekannt für ihren Früchte- und Gemüseanbau) und einem Fleischgericht. Natürlich dürfen auch die weissen Brötchen nicht fehlen, die frisch aufgebacken und mit einer hauseigenen Sauce doppelt so gut schmecken. Zusammen schauen wir die chilenische Millionenschau und rätseln über die Fragen. Wobei unsere Antworten eher beschränkt ausfallen: Wir lernen auf jeden Fall weiter Spanisch und die chilenische Cervelat-Prominenz etwas kennen.

Wir beschliessen kurzum, dass dies ein perfekter Ort ist, um gleich noch einen Tag zu bleiben und den angekündigten Regen abzuwarten.

Paty verwöhnt uns am Morgen mit einem wunderbaren Frühstück: Neben der selbstgemachten Hagebuttenmarmelade, dem frischen Apfelmus, dem Käse und den warmen Brötchen, kommen wir auch noch in den Genuss von starkem Kaffee, welchen unseren Nestlé-Pulver-Kaffee deutlich zu übertreffen vermag.

Wir könnten ewig sitzen bleiben...

Wir könnten ewig sitzen bleiben…

 

Ein Spaziergang durchs Dorf mit einem Halt im einzigen geöffneten Café, dem Abchecken von allen Lädelis – wir sind immer wieder erstaunt wie viele Minimarkets es in diesen Zwergendörfern gibt – und dem Bestaunen des Könnens der BMX-Jungs auf der kleinen Plaza ist unser einzige Ausflug aus dem gemütlichen Haus. Paty erkundigt sich per Dorffunk über die Wetterverhältnisse für uns: Auf dem bevorstehenden Pass liegt etwas Schnee, doch die nächsten Tage sollen sonnig sein. Umso besser lassen wir unsere Beine noch einen Tag ruhen.

Downtown Puerto Ibanez

Downtown Puerto Ibanez

 

Richtig los geht es gut gestärkt am nächsten Morgen. Wir beschliessen, die von hier an für knapp 300km asphaltierte Strasse links liegen zu lassen und nehmen eine Schotterpiste in Richtung Villa Cerro Castillo. Bei der ersten sehr steilen Steigung auf einem wie Klebstoff wirkenden nassen Untergrund fragt sich die eine oder andere, was das wohl für eine clevere Entscheidung war. Doch lange bleibt diese Frage zum Glück nicht aktuell. Nach dem tosenden Wasserfall des Rio Ibañez, führt uns unsere kleine Schotterpiste durch ein tief eingeschnittenes, enges Tal.

Salto Rio Ibanez

Salto Rio Ibanez

 

Wir geniessen die einsame Fahrt auf der leeren Schotterpiste.

Wir geniessen die einsame Fahrt auf der leeren Schotterpiste.

 

Die Sonne lässt die farbigen Bäume im Kontrast zu den frisch eingeschneiten Berggipfeln noch mehr aufleuchten. Wir schlängeln uns immer weiter empor und gelangen an einzelnen Farmhäuschen vorbei auf eine Hochebene. Der Blick öffnet sich und der Cerro Castillo leuchtet uns mit seinen schroffen Gipfeln und den Gletscherfeldern entgegen: Das Panorama ist grossartig!

Freie Fahrt auf den Cerro Castillo

Freie Fahrt auf den Cerro Castillo

 

Nur ein See mit seinen bewaldeten Inselchen, der nach einer Kurve auftaucht, kann die Aussicht auf das Bergmassiv noch toppen.

Das Geholppere hat sich mehr als gelohnt!

Das Geholppere hat sich mehr als gelohnt!

 

Wir holpern weiter durch die farbigen Wald-Wiesen, vorbei an weiteren kleinen Seen, vorbei an einzelnen Schaf- oder Lama-Wiesen und immer wieder mal rauf und runter. So rollen wir dem Cerro Castillo entgegen, bis wir wieder im breiteren Flusstal des Rio Ibañez ankommen und in der Ferne die gelben Pappeln von Villa Cerro Castillo erkennen.

Herbstfarben und frisch gezuckerte Berggipfel

Wir staunen weiter!

Wir staunen weiter!

 

Am Fusse des Berges finden wir am Dorfrand einen Camping direkt an einem tossenden Wildbach. Der Himmel bleibt klar: Es eröffnet sich ein schier unendliches Sternenmeer.

Am Morgen ist unser Zelt von einer dicken Frostschicht überdeckt. Es war definitiv eine kalte Nacht: Unser Thermometer zeigt deutlich unter Null Grad an. Da schmeckt nicht nur der heisse Pulverkaffee, sondern ebenso freuen wir uns über die ersten rosaroten Sonnenstrahlen hoch oben am Gipfel.

Eisiges Z'Morge mit doppelter Freude am Café im Zelt und später im Bus-Café

Eisiges Z’Morge mit doppelter Freude am Café im Zelt und später im Bus-Café

 

Die Kälte verschwindet dann spätestens beim Losfahren gänzlich. Wir sausen über den Asphalt; es rollt sich fast von selbst. Schon bald steigt die Strasse an. Die Aussichten auf das breite Flusstal, die Bergkette  und die farbigen Wälder werden immer spektakulärer.

Die letzten Blicke zurück ...

Die letzten Blicke zurück …

Wir fotographieren die Aussicht, die Touristen beim Mirador oder aus den Autos heraus uns. In Serpentinen klettern wir höher und höher. Bis wir schliesslich in alpinem Gelände landen und kleine Schneeresten die Strasse säumen. Und plötzlich steht das Passschild schon vor uns – der mit Abstand höchste Punkt der Carretera Austral ist erreicht.

Einfahrt auf der Passhöhe

Einfahrt auf der Passhöhe

 

Nun heisst es rasant runter rollen, weiter die farbigen Wälder bestaunen und die Gegenanstiege etwas beschimpfen. Plötzlich hält ein Auto an, kurbelt die Scheibe runter und weist uns auf ein Huemul hin. So sehen wir das dritte Exemplar gerade noch davon laufen – aber immerhin.

Wir stärken uns nochmals mit unseren Lieblings-Güezi für den nächsten Gegenanstieg, als wenig später hinter der Kurve das Schild für den angesteuerten Camping auftaucht. Er ist zwar bereits geschlossen, dafür haben wir auf den Wiesenflächen umgeben von Bäumen und Bergen umso mehr unsere Ruhe.

Unsere Zwei-Zimmer-Wohnung steht wieder.

Unsere Zwei-Zimmer-Wohnung steht wieder.

 

Der nächste Tag begrüsst uns mit orange-gelb aufleuchtenden Bäumen. Das Zelt ist zwar – wie immer – feucht vom Kondenswasser, aber immerhin nicht eingefroren. Mit dem von Porridge voll gefüllten Bauch düsen wir weiter runter. Plötzlich öffnet sich das Tal und wir sehen in ein grosses mit kleinen Nebelschwaden gefülltes Quertal. Die Strasse schlängelt sich mit einer perfekten Neigung, weder die Pedale noch die Bremsen werden beansprucht, dem Talhang entlang.

Roll-Genuss pur!

Roll-Genuss pur!

Je tiefer wir kommen, umso grüner die Wiesen, grösser die Bauernhöfe, dicker die Kühe und kleiner die Autos. Die Strasse ist nun definitiv Nicht-Pickup-tauglich. Mit all den Heuballen, den Traktoren und den leicht geschwungenen Hügeln erinnert uns die Landschaft fast etwas ans Mittelland.

Grüne Wiesen und Heuballen so weit das Auge reicht.

Grüne Wiesen und Heuballen so weit das Auge reicht.

Nach den Wochen draussen in der Natur kommen uns die kleinen Industrieanlagen am Stadtrand fast etwas komisch vor, als wir bereits kurz nach dem Mittag in Coihayque einfahren. Die erste Hälfte der Carretera Austral liegt nun bereits hinter uns und für die zweite gönnen wir uns zuerst mal ein paar ruhige Tage. Das Städtchen scheint dafür alles zu bieten, was das Veloherz begehrt: Heisse Dusche, warmes Bett, etwas anderes zum Essen als Pasta, Waschmöglichkeit, ein gemütliches Café, einen Supermarkt und ja, dann sind wir schon ganz glücklich.

Was wollen wir mehr?

Was wollen wir mehr?

 

6 thoughts on “Die Schotterpiste lohnt sich immer

  1. Liebi Corinne, liebe Christoph,
    mir stuune, stuune, stuune zäme mit euch über die spektakuläre Landschafte, Bärge, Flüss uTier!:-) Toll, dass dir sogar Huemuls gseh heit, u de no schön und usgiebig! Die si würk sehr sälte…Glück muess me ha!
    U de stuune mir über eui Fitness u Usduur! Dir müesst ja scho Muskle wie Stahl ha, dass dir settigi Stiigige uf Schotterpiste so “locker” chöit mache! U deno immer wieder die geniale Fötelis…settigi Selfies dörfet dir no mängs mache:-)
    Mir wünsche euch viiu Glück witerhin, schöni Usblicke u einmaligi Begägnige! GNIESSSETS!
    Müntschi Mami und Papa

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    • …mir luege, dass es no äs paar so Selfies git😊Und mir si ganz fliessig und usgiebig am Gniesse!
      D’Bei folge würk fangs guet, aber mängisch bruchts o no chli Chopfarbeit zum ufe cho! Und immer wieder gmüetlichi Ruhetäg wie hüt. Müntschi

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  2. Happy birthday Corinne. You now have passed the first 30 years! Just one quarter of a lively lifetime.
    We’ll celebrate with you in August
    Love
    Jim and Renee

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  3. Liebe Corinne – Ganz schüchtern möchte auch ich mich mal kurz melden, wollte dies zwar schon am 20. April tun, aber hatte damals mit der Technik des Absendens etwelche Schwierigkeiten, die ich nun hoffentlich überwinden kann. Marlis hat mir Euren blog bekanntgegeben, und ich habe mich voller Freude in Eure Reiseabenteuer vertieft. Vorerst aber will ich Dir, liebe Corinne, zu Deinem 30. Geburtstag meine herzlichsten Glückwünsche übermitteln und Dir alles Liebe und Gute wünschen. Ferner wünsche ich Dir und Deinem Partner Christoph tolles Wetter imd ,möglichst pannenfreie Fahrt. Mit grossem Interess werde ich gedanklich und visuell an Eurer einmaligen Velotour teilnehmen. Vielleicht sei mir noch ein kleiner Tip zu äussern erlaubt: Setzt doch jeweils bei jedem blog-Eintrag das entsprechende Datum dazu. Ist vielleicht hilfreich bei späteren ‘Auswertungen’?

    Liebe Grüsse von
    Emil

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    • Lieber Emil
      Herzlichen Dank für Deine lieben Wünsche! Und das freut mich zu hören, wenn Du etwas mit uns mitreist!
      Merci auch für Deinen Tipp: wir schauen was möglich ist.
      Herzliche Grüsse und eine schöne Frühlingszeit! Corinne & Christoph

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