Eine tierische Sache

Das Huemul ist nebst dem Anden-Kondor allgegenwärtig in dieser Region Patagoniens. Wie der Kondor allerdings meist als Namensgeber aller möglichen tourististischer Einrichtungen und abgedruckt in Werbebroschüren. In Natura gibt es gemäss Schätzungen gerade mal noch ca. 1500 Exemplare dieses Anden-Hirsches (von der Grösse her ähnlich einer Gämse). Im Reserva Tamango, das praktisch in Gehdistanz von Cochrane beginnt, sollen angeblich noch einige dieser Tiere leben. Wir wollen unser Glück versuchen und fahren mit den Velos zum Parkeingang, von wo aus wir zu Fuss den buschbewachsenen Hügel emporsteigen. 

 

Weibliches Huemul

Weibliches Huemul

Und tatsächlich, nach einer guten Stunde Marsch erspäht Corinnes geschultes Auge die Silhouette eines Huemul-Weibchens. Kurz darauf erblicken wir auch den dazugehörenden Bock! Die Tiere scheinen uns weder erspäht noch gewittert zu haben, so können wir uns ihnen bis auf etwa 100 Meter langsam nähern. Wir schauen ihnen eine Weile zu und können unser Glück kaum fassen. Nach einigen ebenfalls vom Aussterben bedrohten Kondoren haben wir sogar auch ein Huemul-Pärchen gesehen!

Gut ausgeruht brechen wir am nächsten Tag kurz vor Mittag auf. Die nächsten Tage versprechen anstrengend zu werden, gilt doch die Strecke von Cochrane nach Chilo Chico als hügeligster Abschnitt der Carretera Austral. Für die knapp 200 Kilometer planen wir deshalb mal fünf Tage ein, aus Erfahrung ein wenig klüger geworden. Die erste Steigung folgt promt nach dem Ortsausgang von Cochrane und führt uns wieder ins Flusstal des Rio Baker.  
Rio Baker

Rio Baker

  
Herbstlich gelbe Pappeln und der türkisene Fluss sorgen für Farbtupfer

Herbstlich gelbe Pappeln und der türkisene Fluss sorgen für Farbtupfer

 Der tief-türkisfarbene Fluss und die herbstlich gelben Pappeln sind markante Farbtupfer in der ansonsten kargen Landschaft. Ein Schild am Strassenrand weist uns mehrfach auf einen Camping hin, den wir schliesslich auch ansteuern. Ein Mensch ist nicht anzutreffen, aber wirklich verlassen sieht die einzige Hütte auf dem Areal auch nicht aus. Wir stehen etwas unschlüssig bei unseren Velos, als uns jemand aus den Büschen oberhalb der Strasse zuruft. Einen Augenblick später begrüsst uns Hektor auf seinem liebevoll eingerichteten Campingplatz. Die sechs Zeltplätze sind alle mit einer Feuerstelle, Licht und sogar Steckdose ausgestattet, die Verkabelung dafür würde allerdings jedem Strom-Inspektor die Nackenhaare aufstellen.  
In der Küche...

In der Küche…

 Nach der heissen Dusche kochen wir Ebly mit Chorizo und Stangensellerie, und Hektor macht Feuer für uns. Wir kommen ins Gespräch mit ihm und erfahren eineges über ihn, die politische Vergangenheit Chiles und (angebliche) Rivalitäten zwischen Chile und Argentinien in dieser Region. Nur mit Mühe können wir verhindern, dass sich seine Katzen weder an unserem Nachtessen gütlich tun, noch das Zelt in seine Bestandteile zerlegen. Ihre Spielfreude und Kampfeslust ist auch in der Nacht ungebrochen, Rascheln und Gefauche lässt uns mehrmals in der Nacht aufschrecken.
Der nächste Tag startet trübe, es regnet leicht und so kochen wir das Frühstück in unserem riesigen Vorzelt.  
Frühstück mit Kaffee und Porridge im Zelt

Frühstück mit Kaffee und Porridge im Zelt

 Entlang dem Rio Baker fahren wir Flussaufwärts nach Puerto Bertrand, wo der Rio Baker als Abfluss des Lago Bertrand seinen Ursprung hat. Beim Dorfausgang steigt die Strasse wieder an. Die Wolkendecke hängt so tief, dass wir schon fast fürchten uns den Kopf anzustossen. Die Beine sind fit und wir kommen flott voran. Zur Mittagspause zeigt sich sogar kurz die Sonne.  
Mittagspause bei Sonnenschein

Mittagspause bei Sonnenschein

 Am Nachmittag gehts in gleichem Stil weiter, Sonnenschein folgt auf Regenschauer, Abfahrt auf Anstieg.  
Ausblick auf Puerto Guadal und den Lago General Carrera

Ausblick auf Puerto Guadal und den Lago General Carrera

 Bei der letzten Abfahrt lichten sich die Wolken und wir erblicken Puerto Guadal unter uns, das Ziel des heutigen Tages. Die Bäckerei am Dorfeingang bietet frische Empanadas an, ein solches Zvieri lassen wir uns natürlich nicht entgehen.  
Frische Empanadas zum Zvieri!

Frische Empanadas zum Zvieri!

 Gestärkt machen wir uns auf die Suche nach einer Unterkunft und folgen dem Schild zum Eco-Hostal&Camping. Die 3km dorthin werden für uns allerdings fast zum piece de resistance. Es geht auf schlechter Strasse nochmals steil bergauf, wir sind ziemlich erschöpft, als wir schliesslich beim schön angelegten Camping ankommen. Wir geniessen erstmal die Aussicht über den Lago General Carrera, dem zweitgrössten See Südamerikas (nach dem Titicaca-See). Die grossen Touristenströme für diese Saison sind auch hier längst versiegt, wir sind die einzigen Gäste und haben Glück, dass der Camping überhaupt noch geöffnet hat. In einer längeren Führung werden wir von der engagierten Betreiberin ins Konzept des Eco-Hostals eingeweiht. Strikte Mülltrennung, Solar-Dusche, Trockentoilette, das Ganze ist konsequent aufgezogen und soll vor allem auch das Bewusstsein für die zum Teil versteckten Umweltprobleme der Region schärfen. Allgegenwärtig sind Kleber auf Autos und Plakate: Patagonia sin Represas. Ein riesiges Staudammprojekt mit fünf geplanten Dämmen am Rio Baker und Rio Pasqua (zur Versorgung Santiagos und der Minen im Norden) erlebt grossen Widerstand in der Lokalbevölkerung. 
Kunstvoller Widerstand gegen das Staudammprojekt HydroAysen

Kunstvoller Widerstand gegen das Staudammprojekt HydroAysen

  Eine einmalige Landschaft würde in den Wassermassen versinken, wir verstehen den Widerstand der Locals nur zu gut.
Der nächste Tag beginnt, wie der vorherige aufgehört hat, mit Sonnenschein und einer saftigen Steigung. Unweigerlich kommt uns das Kinderlied mit der Passage “…s Bärgli uuf, s Bärgli uuf, äne wider aabe, äne wider aabe …” in den Sinn. Wir fahren auf einer Ebene etwa 100 Meter über dem See. Sämtliche Seitenflüsse haben sich tief in dieses abgelagerte Material eingefressen, was uns jedesmal eine rasante Abfahrt, eine spektakuläre Aussicht auf riesige Schwemmkegel und danach einen knackigen Aufstieg beschert.
Schwemmkegel eines Seitenflusses

Schwemmkegel eines Seitenflusses

 

Mittagspause mit grandioser Aussicht

Mittagspause mit grandioser Aussicht

  Kurz nach der Mittagspause, die wir mit Aussicht auf einen dieser Schwemmkegel geniessen, passieren wir eine Baustelle. Die Ripio-Strasse wird ausgebessert, will heissen einfach eine Ladung Sand draufkippen, verteilen und etwas flachdrücken. Am Steuer der grossen Baumaschine entdecken wir: Hektor, bei dem wir zwei Tage vorher übernachtet haben!  
Hektor ist nicht nur Campingbetreiber sondern auch Strassenbauer

Hektor ist nicht nur Campingbetreiber sondern auch Strassenbauer

 Ein paar Minuten später erreichen wir bereits das nächste kleine Dorf, Mallin Grande. Obwohl wir erst gut 30km hinter uns gebracht haben, fühlen sich die Beine ziemlich schlapp an und wir beschliessen, bereits hier Nachtlager aufzuschlagen. Wir fragen uns im Dorf durch und dürfen schliesslich im Garten eines Hauses unser Zelt aufschlagen. Zur tierischen Grundausstattung gehören wie so oft ein Hund, eine Katze und eine Schaar glücklicher Hühner, die ebenfalls einiges Interesse an unserem Zelt und vor allem am Kochtopf zeigen.  
Die glückliche Hühnerschaar zeigt Interesse an unserem Zelt und vor allem am Kochtopf

Die glückliche Hühnerschaar zeigt Interesse an unserem Zelt und vor allem am Kochtopf

 Dass zu glücklichen Hühnern auch ein Hahn gehört, wird uns am nächsten Morgen eindringlich in Erinnerung gerufen. Leider ist für ihn bereits um 5:11 Uhr Tagwache und da er direkt neben unserem Zelt steht, nützen auch Ohropax herzlich wenig. Durch ihn aufgeweckt lassen sich auch die restlichen Hähne des Dorfes nicht lumpen und so kommen wir in den Genuss eines vielstimmigen Morgenkonzerts. Immerhin sind wir früh auf den Beinen, was sich bei diesem schönen Wetter auszahlt. Die Strasse ist spektakulär, auf einer Länge von 20km in den Fels gehauen.  
Spektakuläre Aussichten...

Spektakuläre Aussichten…

  
... und Strassenführungen

… und Strassenführungen

Die Strassenbauer sind gefordert!

Die Strassenbauer sind gefordert!

 

  Der Strassenverlauf folgt dabei dem Gelände, Kunstbauten gibts es praktisch keine, höchstens kurze Brücken. Dieser Abschnitt gehört sicher zum spannendsten und auch anstrengendsten, was die Carretera bis jetzt zu bieten hatte.  
Das Schild lässt keine Zweifel aufkommen, es geht steil bergab!

Das Schild lässt keine Zweifel aufkommen, es geht steil bergab!

 Wir kreuzen zwei Chilenen, ebenfalls mit dem Velo unterwegs, und erhalten den Tipp für einen Camping in Fachinal, unserem Tagesziel.  
Liebevoll angelegter Camping in Fachinal

Liebevoll angelegter Camping in Fachinal

 

... in schönster Umgebung

… in schönster Umgebung

  Der “Camping” besteht dieses Mal aus einer Wiese und einer kleinen Laube hinter der Wohnhütte eines Bauern. Einfach aber sehr gemütlich und vor allem Windgeschützt. Der tierische Dreisatz Hund(e), Katze(n), Hühner darf natürlich auch hier nicht fehlen.  
Die Henne mit Nachwuchs hofft auf mehr Kracker-Brösel von Corinne

Die Henne mit Nachwuchs hofft auf mehr Kracker-Brösel von Corinne

 Corinne macht den Fehler und wirft der einen Henne mit ihren fünf Bibeli ein paar Kracker-Brösel hin, womit es natürlich um die Nachmittagsruhe geschehen ist. Als wir das Zelt aufbauen gesellt sich Pepo zu uns und beginnt sofort, das Zelt zu begutachten. Und da Pepo ein zahmes Schaft ist, heisst das, mal alle Schnüre und die Blache ins Maul zu nehmen und ein bisschen daran zu zerren.  
Wir haben unsere Mühe mit Pepo

Wir haben unsere Mühe mit Pepo

 Wir rechnen bereits mit dem Schlimmsten und überlegen, wo wir den Reparaturkleber verstaut haben. Der Bauer erkennt schliesslich unsere Schwierigkeiten und sperrt Pepo zu den anderen Schafen auf die Weide. Die gleiche Geschichte wiederholt sich wenig später mit einer jungen Katze in der Hauptrolle (das hatten wir doch bereits?). Auch hier hilft uns schliesslich der Bauer und holt die Katzen zum Nachtessen, was dann doch interessanter scheint als mit dem Zelt zu spielen. In der Nacht werden wir dieses mal von den Hunden aufgeweckt, die bellend am Zelt vorbeirasen um einen Fuchs oder sonstigen Eindringling zu vertreiben.
Am nächsten Morgen sind wir wieder zeitig auf den Beinen, wir haben nochmals eine strenge Etappe nach Chile Chico vor uns.   
Die Steigungen sind zum Teil nur knapp oder gar nicht mehr fahrbar

Die Steigungen sind zum Teil nur knapp oder gar nicht mehr fahrbar

 

Auf der Ebene können wir uns kurz erholen

Auf der Ebene können wir uns kurz erholen

  
Verwitterter Vulkankegel

Verwitterter Vulkankegel

 Die steilen und hohen Berge (ca. 2500MüM) links und rechts des Sees beginnen langsam abzuflachen und in der Ferne sehen wir bereits die Pampa. Die Vegetation wird zusehends trockener, Chile Chico hat gerade mal noch 300mm Niederschlag pro Jahr, kein Vergleich zu den 2000mm in Tortel, auf der Westseite der Anden. Es ist eindrücklich, in so kurzer Zeit durch sämtliche Vegetationszonen zu fahren. Wo die Vegetation nicht mehr für Farbe in der Landschaft sorgen kann, springt das Gestein ein, so scheint es uns. Schwarz, rötlich bis violett, beige und sogar grün sind auszumachen. Die Bodenschätze (Gold und andere Metalle) sind hier so üppig, dass sich deren Abbau lohnt, wie die Miene beweist, die wir einige Kilometer vor Chile Chico passieren.  
Der grüne Chnubel sieht unecht aus, faszinierend!

Der grüne Chnubel sieht unecht aus, faszinierend!

 Und kurz vor dem Dorf sticht uns ein komplett grüner Felsen in die Augen (wahrscheinlich Kupferoxid oder -sulfidverbindungen). Wir sind fasziniert, so etwas haben wir beide noch nie gesehen.
Müde, aber überglücklich und den Kopf voller wunderschöner Landschaftsbilder kommen wir in Chile Chico an. Die letzten 5 Tage haben uns gefordert, auf 197km waren 4200 Höhenmeter zu bezwingen!

4 thoughts on “Eine tierische Sache

  1. Lieber Christoph, liebe Corinne
    Grossartig die Landschaften, grossartig die Bilder und grossartig wie ihr euch auf den holprigen Strassen über die Berge kämpft.
    Die illustren Beschreibungen von euren Eindrücken und Erlebnissen lesen sich vergnüglich. Sie bringen einen ganz nah ans Miterleben. Herzlichen Dank dafür!
    Weiterhin viel Glück und gute Fahrt.
    Alles Liebe Pa & Ma

    Liked by 1 person

  2. Herzlichen Dank für eure super Reiseberichte mit den eindrücklichen Bildern und Schilderungen. Man kann eure Reise wirklich gut nachvollziehen und so mit euch geniessen. Für mich ein rechtes Kontrastprogramm: ich sitze gerade mitten in Chicago umgeben von Dutzenden von Wolkenkratzern. Nun, das werdet ihr in Boston Ende August dann erleben. Welche Unterschiede! Herzlichst, Peter Labudde

    Liked by 1 person

  3. Unsere Lieben
    Inzwischen seid ihr routinierte Andenfahrer geworden, denen knabbernde Schafe, krähende Güggel, neugierige Kätzchen und bettelnde (Kairos ?) und bellende Hunde die gute Laune nicht verderben können☺. Recht so! Geniesst weiterhin die fantastische Landschaft.
    Gute Fahrt – und händ’s guet
    ma und pa

    Liked by 1 person

  4. Hoi ehr zwöi
    Sehr onterhaltsam, euche Blog! Mos emmer mou weder schmonzle ond au stuune öber die wonderschöne Landschaftsbilder! Wönsche euch wiiterhin e super Zyt! Hend üch Sorg!
    Grüessli us Myanmar,
    Bablou

    Liked by 1 person

Leave a reply to Bablou Cancel reply