Flying Turkey

Der Ofen knistert, es ist angenehm warm als wir in die Stube von Oscar eintreten. Durch die Küchentüre gelangen wir in den ‘Garten’. Umgeben von Bretterzäunen, die den ärgsten Wind abhalten, einer flatternden Wäscheleine und einem Recyclingsystem findet sich ein kleines Stück Rasen auf welchem wir unser Zelt aufstellen. Der lange Tag macht sich bemerkbar und wir testen unser Zelt erfolgreich auf Wind, Regen und Ausschlaftauglichkeit.

In der Küche treffen wir am nächsten Tag auf ein Velofahrerpärchen aus Frankreich, die wir bereits in Punta Arenas getroffen haben. News über die Fahrt werden ausgetauscht und wir erhalten wichtige Informationen, die uns etwas aufschrecken lassen. Die Fähren, die uns von El Chalten nach Villa O’Higgins und den Anfang der Careterra Austral bringen, fahren am kommenden Freitag zum letzten Mal…und nicht später, wie wir anderswo gelesen haben. Zum Glück funktioniert das Buschtelefon so gut! Das heisst es gibt eine erste Planänderung. Wir beschliessen das Wandern im Torres del Paine sein zu lassen. Die Entscheidung wird uns etwas vereinfacht, als wir von den sehr vollen Wanderwegen und Campingplätzen hören und sehen wie viele Backpackers sich auf DEN krassen Trek vorbereiten.

Puerto Natales, eine farbenfrohe Sache

Puerto Natales, eine farbenfrohe Sache

Corinne verliebt sich sofort in dieses Städtchen, woran das wohl liegen mag?

Corinne verliebt sich sofort in dieses Städtchen, woran das wohl liegen mag?

Stattdessen schlendern wir durch die Strassen und farbigen Häuschen von Puerto Natales, erledigen dies und jenes (ein Paket nach Hause lässt unser Gepäck 3,6kg leichter werden) und fühlen uns wieder sehr wohl in diesem Städtchen. Die Stimmungen mit Wolken, etwas Sonne, dem Meer und den scharf abfallenden Bergen hat etwas fast Mystisches!
Zwei Tage später sitzen wir im Bus nach El Calafate. Über den etwas vom Schnee eingepuderten Pass gelangen wir nach Argentinien und lernen die Vorteile der offenen Grenzen in Europa schätzen. Nach verschiedenen Schlangen, Stempel hier, Zettel da sitzen wir alle wieder im Bus und brettern fünf Stunden durch die Pampa.
El Calafate hat etwas Künstliches: mit vielen Rasensprenklern werden die giftgrün leuchtenden Rasenflächen und Bäume bewässert. Ringsherum sieht die Landschaft sehr trocken aus, scheint fast wüstenartig, ausser dem türkis leuchtenden See gefüllt mit Gletscherwasser.

In der Hauptstrasse reiht sich ein Touranbieter an den anderen, Souvenirgeschäfte und Restaurants füllen die Zwischenräume. Doch es ist alles recht ruhig, der grosse Saisonrummel scheint zum Glück vorbei zu sein.

Wir finden unser Nachtquartier etwas auf einem Hügel erhöht und geniessen von unserem Zimmer eine grandiose Aussicht über den See hinüber zu der Andenkette, deren Gipfel sich noch in den Wolken verstecken.

Postkartenwetter

Postkartenwetter

Am nächsten Morgen lassen die ersten Sonnenstrahlen die Gipfel rosarot aufleuchten. Die Fahrt mit dem Bus in Richtung Berge ist spektakulär: im Vordergrund das goldig leuchtende Gras, hinten dran die frisch eingeschneiten Berge. Und da plötzlich, als wir um eine weitere Kurve fahren, sehen wir ihn: den Perito Moreno Gletscher. Eingebettet zwischen zwei Bergkämmen leuchtet die Gletscherzunge schon von weitem ganz hellblau.

Perrito Morreno Gletscher

Wir können uns am gefrorenen Wasser kaum Sattsehen

 

Der grosse Parkplatz und die noch grössere Toillettenanlage lassen nur erahnen wie viel hier los sein könnte. Wir begeben uns fast alleine auf die ausgebauten Fusswege auf der gegenüberliegenden Hangseite. Das Ausmass der schroffen Gletscherzunge lässt nicht nur das Geographinnenherz höher schlagen: auf einer Länge von knapp 5 Kilometern und einer Höhe von 60 Metern mündet die Zunge in den See. Das Eisfeld dahinter scheint unendlich lang; es ist das grösste nach den beiden Polkappen. Die Plattformen führen uns immer näher an die Eisfront. Immer wieder hört man ein Knacken, alle Blicke wenden sich in diese Richtung… Doch nach dem Knacken ist es schon zu spät; die Eismassen sind bereits ins Wasser gestürtzt.

Immer wieder stürzen riesige Eisblöcke mit Getöse ins Wasser

Immer wieder stürzen riesige Eisblöcke mit Getöse ins Wasser

Sichtbar sind die Eisstücke und Eisberge, die vor der Gletscherzunge im See schwimmen.

An einer Stelle fallen immer wieder Eisstücke in den See. Und das Warten lohnt sich. Zusammen mit einem lauten Krachen stürzt ein Gletscherstück auf der gesamten Höhe ins Wasser; eine grosse Welle und sich ausbreitende Eisstückchen lassen das Wunder der Natur komplett werden.

Wir können vom Blick auf den Gletscher kaum genug bekommen und probieren alle Wege und Plattformen aus. Sowohl die Sicht von etwas weiter oben, welche die ganze Dimension sichtbar werden lässt, als auch der Blick direkt an die Front der Zunge und die glitzernden Eiskristalle sind kaum zu beschreiben. Die bei Ankunft lang erscheinenden knapp sieben Stunden vergehen wie im Flug, obwohl wir nichts anderes machen als nur den Gletscher anschauen. Oder wie es die Neuseeländer beschreiben, die wir hier nach Punta Arenas wieder treffen: “This is better than Sky TV!”

der Kondor fliegt wenige Meter über unseren Köpfen!

Ein Kondor fliegt wenige Meter über unseren Köpfen!

Als Tüpfchen vom I fliegt plötzlich noch ein riesiger Kondor (mit Spannweiten bis zu drei Metern) über unsere Köpfe: “Flying Turkey” in Grossformat.
Etwas erschlagen von den Eindrücken lassen wir uns in leuchtender Abendstimmung zurück nach El Calafate chauffieren. Wir gehen früh ins Bett, damit wir am nächsten Morgen fit sind für die etwas mehr als hundert Kilometer Velofahrt durch die Pampa in Richtung El Chalten.

2 thoughts on “Flying Turkey

  1. Wow, el Condor pasa!…das dr gröscht flügend Vogel uf dr Wält, sit dir nech die Ehr bewusst:-)?
    isch ja gigantisch, u deno zäme mit dene gwaltige Iismasse und em Chalbere i See!
    Bärner Grüessli e Wuche später:-)
    Mami

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