“Hola!”, “Hello Mister!”, “Bon viaje!”. Visuell deutet kaum etwas darauf hin, dass wir Bolivien verlassen haben und in Peru eingereist sind, von den anderen Flaggenfarben mal abgesehen. Und natürlich vom riesigen Chaos am Zoll abgesehen; in Copacabana findet diese Woche einer der wichtigsten Feiertage der Peruaner statt, halb Peru scheint nach Copacabana zu wollen. Die Landschaft ennet der Grenze ist natürlich gleich, die Lehmhäuser und halbfertigen rohen Backstein-Häuser ebenfalls. Dafür werden wir vom ersten Velometer in Peru an mit freudigen Zurufen vom Strassenrand eingedeckt. Welch ein Kontrast zu Bolivien, wo man kaum Notiz von uns genommen hat. Ob das Gehupe der Fahrzeuge einen freundlichen oder eher genervten Unterton hat, werden wir erst Ende der Etappe heraushören. Und gehupt wird permanent, man könnte sich wohl selbst als Blinder gut im peruanischen Strassenverkehr fortbewegen.
Nach zwei Wochen Veloabstinenz geniessen wir es, wieder im Sattel zu sein. Die Strasse nach Juli ist ein sanftes auf und ab dem Ufer des Titicaca-Sees entlang, immer wieder werden wir mit wunderbaren Aussichten belohnt, im goldigen Licht der späten Nachmittagssonne erscheint alles noch schöner.
In Juli finden wir ein Hostel an der Plaza, endlich wieder ein grosses Stück Käse (von der Art her etwas an Feta erinnernd, allerdings aus Kuhmilch) und unser billigstes Nachtessen der ganzen Reise. In einem Comedor kriegen wir Suppe, Hauptgang und eine Tasse wahnsinnig süssen Tee für 3.5 Soles (ca. 1.10 CHF) pro Person.Die Fahrt nach Puno ist eher unspektakulär, die Strasse führt kurz nach Juli vom See weg. Noch einmal ist Pampa angesagt, Altiplano at it’s best sozusagen, eine perfekte Etappe, um die Gedanken schweifen zu lassen. Zurück, auf die vielen Erlebnisse der vergangenen Monate, und zwischendurch auch nach vorne, auf den letzten Monat unseres Abenteuers. Und für kurze Momente wandern die Gedanken auch mal zurück in die Schweiz.

Peruanische Flagge: dank dem kürzlichen Nationalfeiertag allgegenwärtig, Tuk-Tuks: bevorzugtes Transportmottel, Ausflugsboote: hundertfach vorhanden, Hupverbot: kaum respektiert
Nach Puno lassen wir den Titicaca-See hinter uns, schlängeln uns mit unzähligen Tuk-Tuks, dreirädrigen Velotaxis, Autos und Lastwagen unbeschadet durch die enge Hauptstrasse von Juliaca und erreichen schliesslich die ersten Ausläufer der Bergkette, die uns noch von Cusco trennt. Nach dem dichtbesiedelten Seeufer geniessen wir wieder etwas mehr Natur. Langsam aber sicher lassen wir die Weiten des Altiplano hinter uns, die Landschaft wird hügliger, in der Ferne sind erste Schneeberge auszumachen. Die Dörfer sind dünn gesäht hier, entsprechend lang wird unsere Tagesetappe. Und als ob die vielen Kilometer nicht genügen würden, müssen wir nach langer Zeit mal wieder die Reparaturkiste auspacken und einen Platten flicken; ein kleines Drähtchen eines zefetzten Autopneus war der Übeltäter. Und keine fünf Kilometer später, wir glaubens kaum, ist der neue Schlauch bereits wieder hin, diesmal steckt ein Nagel im Pneu. Aber aller guten Dinge sind diesmal zum Glück nicht drei, und wir kommen ohne weitere Pannen nach Pucará.
Obwohl wir wieder fast auf 4000 Metern Höhe sind fahren wir bereits am morgen in kurzen Hosen und T-Shirt los, um die Mittagszeit wird es richtiggehend heiss (für unsere Begriffe heisst das knapp 20 Grad).
So kommen wir im Anden-Winter doch auch noch zu etwas Sommerfeeling. Die Nächte allerdings bleiben mit Temperaturen knapp unter Null frostig. Santa Rosa ist ein ebenso kleines und verschlafenes Dörfchen wie Pucará, aber auch hier finden wir Hostal (mit heisser Solardusche!) und Comedor. Von Jose dem Hausherr, der hauptberuflich Lehrer ist, von den 500 $ Monatslohn aber nicht leben kann und deshalb noch ein Hostal und einen kleinen Laden betreibt, erfahren wir einiges über Land und Leute. Die Folgen des Klimawandels treffen auch diese Landstriche, von Jahr zu Jahr wird es trockener, die Wasserreserven der Gletscher sind bald erschöpft. Bereits jetzt gibt es im Dorf nur während weniger Stunden in der Nacht Wasser, danach bleiben die Hähnen trocken. Und neue Minenprojekte drohen auch das wenige verbleibende Wasser noch zu verseuchen, wie in vielen umliegenden Dörfern und Städten bereits geschehen. Entsprechend umstritten sind die Minen, sind sie doch oft auch einziger Arbeitgeber in den ländlichen Regionen. Dass aber etwa die Hälfte von Joses Schülern nach der obligatorischen Schulzeit mit 13 Jahren in den Minen arbeiten wird, vermag deren Reputation auch nicht zu steigern.Am nächsten Morgen gehts nochmals bergauf, der Abra la Raya wird der letzte Pass unserer Reise sein. Dafür hat er ausnahmsweise ein richtiges Passschild mit Höhenangabe. Dass die drei unterschiedlich alten Schilder drei verschiedene Höhen anzeigen ist Nebensache. Nach dem Pass gehts in rasanter Fahrt bergab. Nach kurzer Zeit weisen Schilder auf verschiedene Thermalquellen hin. Nach Aguas Calientes ist uns bei den warmen Temperaturen nicht zumute und wir rollen weiter. Dann plötzlich tauchen im engen Tal die ersten grünen Flecken auf. Es kommt uns fast vor, als könnten wir als farbenblinde plötzlich wieder Farben sehen, so sehr haben wir uns an den gelb-braunen Farbton des Altiplano gewöhnt. Auch das Blätterrascheln der ersten Eukalyptusbäume kommt uns vor wie ein Geräusch aus einer anderen Welt. Dass man das Geräusch von raschelnden Blättern vermissen kann? Mit zunehmender Vegetation ändert sich auch der Duft, Eukalyptus, Heu oder gar vermoderndes Gras vermag zwischendurch die stinkenden Abgase zu übertönen. Laut, lebendig und stinkig gehts dann auch in Sicuani wieder zu und her, dem letzten grösseren Städtchen vor Cusco und unserem Tagesziel. Beim Apero lässt die peruanische Küche kurz ihre Klasse aufblitzen, kleine, fritierte Teigröllchen mit Käse drin, dazu eine feine Guacamole. An solche kulinarischen Highlights könnten wir uns gewöhnen. Das Nachtessen fällt dann wieder eher ordinär aus, ein viertel Huhn mit Pommes Frites.
“Äne weder uufe…” Das Lied kommt uns am nächsten Tag wieder ein paarmal in den Sinn. Obwohl die Strasse im Schnitt runter geht merken wir davon nicht viel, gefühlt reihen sich unzählige kleine Gegenanstiege aneinander. Die 90 Kilometer bis Urcos werden so zur anstrengenden Geduldsprobe.

Die Strasse muss öfter an die Hänge ausweichen, dafür ergeben sich immer wieder wunderschöne Ausblicke
“It’s the Final Countdown”! Wenn wir das Lied auf dem Natel gehabt hätten, hätten wir uns am nächsten Morgen davon wecken lassen. Auch wenn es kitschig ist. Aber es hätte gepasst. Wir packen ein letztes Mal unsere sieben Sachen zusammen, beladen unsere Velos und nehmen die letzte Tagesetappe mit dem Velo in Angriff, gut 50 Kilometer bergauf bis Cusco.
Dass unsere Veloreise bald zu Ende ist, realisieren wir noch nicht, vielleicht dann in ein paar Tagen, vielleicht auch erst bei Ankunft in Kloten, vielleicht noch später. Zum Nachdenken kommen wir jetzt nicht gross, die Stadteinfahrt nach Cusco verlangt nochmals unsere volle Konzentration und fahrtechnisches Können. Die Strassen sind eng, die Spurrillen so hoch, dass sie gäbig als Randstein dienen könnten und der Verkehr erbarmungslos. Mittlerweile könnten wir in “Wetten, dass…” auftreten, nicht nur können wir die Stimmung des Fahrers am Hupsignal erkennen, auch Fahrzeugtyp und Marken erkennen wir bereits am Tonsignal, weit bevor wir überholt werden. Irgendwann ist die unendlich lange Einfallstrasse zu Ende und wir haben das Stadtzentrum erreicht. Das Ziel unserer Reise! Nach fünf Monaten im Sattel und gut 4’200 Kilometern! Die Hostalsuche gestaltet sich dann unerwartet schwierig. Kreuz und quer fahren wir durch die Stadt, bis wir ein freies Zimmer finden. Es ist Hochsaison. Dass Hostals ausgebucht sind ist für uns neu, dass man sogar im Restaurant ohne Reservierung keinen Platz mehr findet schon fast erschreckend. Wir waren fünf Monate Reisende, haben das spontane, ungeplante verinnerlicht und uns an dem gefreut, was uns passiert ist. Für die letzten Tage in Cusco und Lima werden wir Touristen sein, und uns in einer komplett anderen Wirklichkeit bewegen. Tourist sein, heisst offensichtlich planen, frühzeitig in demjenigen Hostal oder Restaurant reservieren, dass auf TripAdvisor die höchste Reputation geniesst. Daran müssen wir uns jetzt erst mal gewöhnen. Das excellente Nachtessen in einem Touri-Restaurants, wo wir glücklicherweise auch ohne Reservierung noch Platz gefunden haben, erleichert uns die Angewöhnungsphase an diese neue Wirklichkeit erheblich.























Lieber Christoph, liebe Corinne
Wir werden sie vermissen eure Blogs mit den eindrücklichen Fotos, mit den gelungenen Kommentaren, mit den persönlichen Eindrücken und den Einstreuungen zu emotionalen Befindlichkeiten. Entschädigt werden wir im Wissen, dass nicht nur eure Erinnerungswelt von dieser tollen Reise geprägt sein wird. Das Mitradeln durch die patagonischen und altiplanen Blog-Sphären bleibt auch für uns unvergesslich.
Wir freuen uns riesig auf eure Rückkehr und heissen euch jetzt schon herzlich willkommen.
Alles Liebe und weiterhin viel Glück!
Pa & Ma
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Liebe Corinne, lieber Marc
Auch wir werden Eure Blogs vermissen, freuen uns aber schon auf den ‘Life’-Reisebericht. Altiplano mit dem Zug (mit dem wir gefahren sind) und v.a. Machu Pichu haben wurderbare Erinnerungen geweckt!
Wir wünschen Euch einen guten Abschluss, eine zwischenfallslose Heimreise mit allem Gepäck und eine Ankunft in unserer Welt, möglichst ohne Zivilisationsschock…
Mit herzlichen Grüssen
Annamaria & Urs
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