Man fragt sich, wer auf die Idee gekommen ist, eine Grossstadt ins enge Tal des Rio Choqueyapu zu placieren. Vor allem, wenn rundherum auf dem Altiplano mehr als genügend Platz vorhanden wäre. In ebenem Gelände wohlgemerkt. Die Spanier seien Schuld, lassen wir uns sagen. Es gibt auch andere Erklärungen. Ändern lässt sich sowieso nichts mehr. Im Talgrund ist gerade mal Platz für die zweispurige Hauptstrasse und ein paar Häuser, der Rest der Stadt schmiegt sich an die steilen Hänge.
Und weil die Expansionsmöglichkeiten naturgegeben begrenzt sind, hat sich auf der Ebene des Altiplano eine Satellitenstadt gebildet. El Alto hat mittlerweile mehr Einwohner als La Paz, die meisten von ihnen arbeiten aber unten in der Stadt. Das Verkehrschaos ist vorprogrammiert. Der “öffentliche” Verkehr besteht aus tausenden Minibussen und Taxis, die tagtäglich von El Alto runter in die Stadt und wieder hoch fahren. Doch seit neustem gibt es drei Seilbahnstrecken, die El Alto mit verschiedenen Stadtteilen von La Paz verbinden. Und das schweizerisch/österreichische Seilbahnunternehmen hat vor Wochenfrist den Auftrag für sechs weitere Linien an Land gezogen. Es scheint der einzig mögliche Weg, dem Verkehrsinfarkt beizukommen. Für uns ist es eine bequeme Möglichkeit, uns einen Überblick über die Stadt zu verschaffen. Nebst der bisweilen spektakulären Topographie der Stadt sind die Unterschiede im Lebensstandard, gemessen an der Häuserqualität, am augenfälligsten. Fährt man eben noch über rohe Backsteinbauten mit verschmutzten Hinterhöfen oder gar nur Bretterbuden, erblickt man Minuten später grosszügige Villenviertel, der grüne Garten mit Schmimmbad hoch ummauert, das Tor bestens geschützt. Überhaupt, die sozialen Gegensätze in dieser Stadt sind riesig. Kaffes und Restaurants, wie man sie in jeder beliebigen europäischen Stadt findet, daneben, an der Strassenecke, die kleinen Verkaufsstände und Strassenküchen der “Cholitas”, wie die indigenen Frauen auch genannt werden. Bettler neben Businessfrau. Smartphone neben den unzähligen Telephonen in den Strassenkiosks. Neue SUVs neben halb verfallenen Dodge und Ford-Bussen aus den sechziger Jahren. Schliesslich, einmal Nachtessen für 13 Bolivianos pro Person (knapp 2 Franken) einmal Nachtessen im Restaurant Gustu für 610 Bs pro Person. Die kulinarische Entdeckungsreise Boliviens im Restaurant Gustu ist ein Geburtstagsgeschenk von Christophs Mutter. Das Restaurant wurde von Klaus Meyer, dem Gründer des mehrmals zum weltweit besten Restaurant gekührten Noma in Kopenhagen, eröffnet. Es soll einerseits das Restaurant-Angebot in La Paz aufwerten, gleichzeitig dient es auch als Ausbildungsstätte für bolivianische Köche und Servicepersonal. Auf den Teller oder ins Glas kommen ausschliesslich Produkte aus dem Land. Geräucherte Forellen aus dem Titicaca-See, Lama-Tartar, Kartoffeln in verschiedensten Variationen. Nach den Wochen mit Tomatenpasta aus dem Campingkocher eine wahre Geschmaksexplosion für den etwas abgestumpften Gaumen. Der Chef de Service ist derart begeistert von unserer Veloreise, dass wir am Schluss des Abends gar noch zu einer exklusiven Küchenführung samt anschliessender Degustationsrunde in der Hausbar kommen.Auch wenn die Stadt den Frieden im Namen trägt, friedlich gehts nicht immer zu und her, nicht nur auf der Strasse gewinnt der stärkste Motor, respektive die lauteste Hupe, auch sonst schrecken die Bolivianer nicht davor zurück, ihrem Wunsch verbal und bisweilen auch händeringend Nachdruck zu verleihen. Als Schweizer eher die zurückhaltende Art gewohnt, kommen wir da natürlich nicht weit. Nach mehreren Wochen im Campo haben wir uns nach Stadt und Zivilisation mit all ihren Vorzügen gesehnt, sind nun aber doch fast etwas überfordert von diesem Gewusel. Dass wir doch mehr als eine Woche hier verbracht haben, ist vor allem dem Umstand geschuldet, dass uns das wohl fast unvermeidliche Los aller Bolivien-Reisenden ereilt hat und unsere Mägen abwechselnd mit der lokalen Kost nicht mehr klargekommen sind. Glücklicherweise hatten wir in der Casa Cyclista eine ruhige Oase wo wir uns gut erholen konnten. Casa Cyclistas gibt es in vielen Städten Südamerikas, eine velobegeisterte Person stellt ihr Haus und Garten für Veloreisende gratis oder für einen kleinen Unkostenbeitrag zur Verfügung. In La Paz befindet sie sich in einem Altbau mitten im Stadtzentrum. Wir wohnen wie in einer WG zusammen mit vier Italienern, je einem Holländer und Argentinier, zwei Franzosen und einer Deutschen. Einige bleiben für ein paar Tage, andere sind schon mehrere Wochen hier und warten auf Ersatzteile. Es geht gemütlich zu und her, man liest, schraubt am Velo, erzählt sich Geschichten von Erlebtem oder noch Geplantem, kocht, lacht und schläft viel. Nach einer guten Woche Bananen-, Reis- und Koka-Tee-Diät sind wir mit neuer Energie und Lust bereit für unsere wahrscheinlich letzte Veloetappe nach Cusco.













