Berühmt, berüchtigt, grandios!

Das Velo mehrere Stunden durch den Sand schieben, hunderte von Touristen-Jeeps, die einem gefährlich überholen und die Ciclistas in eine Staubwolke hüllen, erschwerte Versorgungsmöglichkeiten, extreme Wetterbedingungen und doch eine der spektakulärsten Routen überhaupt: Über die wohl berühmteste Velo-Etappe Südamerikas hört und liest man so allerlei. Ausgerüstet mit einer ‘Velo-Karte’, den aktuellsten Blog-Kommentaren (www.andesbybike.com für die Interessierten), Essensvorräten für gut zehn Tage, einer Höhengetesteten und ergänzten Ausrüstung kombiniert mit einer Portion Unsicherheit und Neugier rollen wir vom Refugio los in die kalte Morgenluft. Neben uns spiegeln sich die ersten Sonnenstrahlen in der mit einer Eisschicht bedeckten Laguna Blanca. Die Fahrbahn rüttelt uns definitiv wach und wenn das noch nicht gereicht hat, so ist es sicher die erste kleine Bachdurchquerung. Zum Glück reichen ein paar kräftige Pedaltritte und wir kommen fast trockenen Fusses beim Mirador über der Laguna Verde an.  

Heute zu Füssen des Licancaburs

Heute zu Füssen des Licancaburs

 

Imposant trohnt der Vulkan Licancabur hinter der Lagune; unsere Beine erinnern uns heute auf jeden Fall immer wieder an die gestrige Tour. Doch der Tuttifrutti-Mischung und den Twix sei Dank erreichen wir noch vor dem Mittag den heutigen ‘kleinen’ Pass von 4700 Metern Höhe. Der Aufstieg wird belohnt mit einer tollen Abfahrt durch die karge Wüstenlandschaft. Ringsherum trohnen die meist erloschenen Vulkane und Gebirgszüge. 

Einmal Sand , bitte!

Einmal Sand , bitte!

Wir staunen wieder einmal über das viele Nichts, die leuchtenden Farben unter dem dunkelblauen Himmel und wissen noch nicht so recht, was wir mit der Wüstenlandschaft anfangen sollen. Immerhin ist die Sache beim heutigen Highlight klar: Ja, wir springen rein! Hinter der letzten Kurve, welche uns an der Laguna Chalviri entlang führt, dampft ein natürliches Thermalbecken. Der Chef des Restaurants offeriert uns einen Schlafplatz in seinem neu gebauten Comedor und so hüpfen wir schon wenig später in das wunderbare Nass.  

Wenn wir nur Platz hätten, würden wir das Becken sofort einpacken.

Wenn wir nur Platz hätten, würden wir das Becken sofort einpacken.

Weil die meisten Jeep-Touristen, fast alle denselben ‘Fahrplan’ haben, haben wir das Becken ganz für uns alleine. Wir geniessen nicht nur die Wärme, sondern ebenso die Aussicht über die Salzverkrusteten Hügelchen, die Weite der Lagune und die sie umrandenden Berge und beobachten Möwen beim Rausklopfen von Würmern aus dem Schlamm. Wir sitzen so lange im Hottub, bis unsere Hände und Füsse kaum mehr schrumpliger werden können und tanken Wärme für die Nacht, die auf dem Plattenboden doch etwas frisch werden sollte. Nicht nur frisch, sondern vorerst auch nicht ganz ruhig: Vor dem Fenster wird in mehrstündiger Arbeit ein Lama verarbeitet und der Gang zur Toilette im Nebengebäude dadurch nicht gerade vereinfacht.

Wie könnte der nächste Morgen auch anders starten, als mit einem Sprung ins spiegelglatte, warme Nass und Aussicht auf die aufgehende Sonne. 

Vorher - Nachher

Vorher – Nachher

Das vorerst leere Becken füllt sich rasant mit der ankommenden Jeep-Karawane. Wir lassen den Trubel bald hinter uns und nehmen den nächsten Pass in Angriff. Gemächlich steigt die Strasse an; wir kommen zügig voran.  

Die Welt ist noch in Ordnung...

Die Welt ist noch in Ordnung…

Bis an der zweiten Kreuzung unsere Odysee beginnt. Nicht genau wissend, ob rechts oder links folgen wir der Jeep-Herde. Ja, hier sind einige Jeeps unterwegs; doch weil sie alle querfeldein fahren, haben wir bis jetzt weder gefährliche Überholmanöver, noch riesige Staubwolken erlebt. Wir fahren weiter rauf, dann aber auch wieder runter und wieder rauf. Studieren unsere Routenbeschriebe, vergleichen Distanzen und Höhen und kommen aber erst nach 15km zum definitiven Schluss, dass wir falsch sind. Frustriert drehen wir Güstu und Lotti um 180 Grad und nehmen die endlos scheinenden Auf und Abs wieder in Angriff. Wenn schon, denn schon verfahren wir uns zum ersten Mal auf gut 4700 Metern. Zum Glück sind wir anklimatisiert und erreichen irgendwann auch wieder die Kreuzung. Man lerne: Folge nie einfach der Jeep-Herde! Jetzt fehlen nur nochmals 200 harzige Höhenmeter bis zum Pass auf 4926 Metern. So richtig geniessen können wir unseren Velo-Höhepunkt nicht, aber freuen uns dafür umso mehr die lang ersehnten Dampfwolken der Fumarolen endlich hinter einer Kurve zu entdecken. In verschiedenen Töpfen sprudelt die heisse Schlammmischung, es zischt und dampft und wir finden uns wieder einmal inmitten eines wunderbaren Naturspektakels. 

Sol de Mañana

Sol de Mañana

Mit Aussicht auf das vulkanische Geschehen finden wir einen windgeschützten Zeltplatz und verkriechen uns ziemlich schnell nach Sonnenuntergang in unser Häuschen. Zum Znacht gibts Polenta mit einer leckeren Thon-Tomaten-Rüebli-Sauce, zum Dessert neben der täglichen Schoggi auch noch einen grandiosen Nachthimmel zu beobachten.  

Hilleberg-Werbung?

Hilleberg-Werbung?

Doch lange halten wir es draussen nicht aus und schlüpfen mit Vollmontur in unsere Schlafsäcke. Draussen zischt und sprudelt es; was für eine Geräuschekulisse, die von einem Mäuschen in unserem Vorzelt untermahlt wird. Das Thermometer zeigt schnell -10 Grad im Zelt an – doch unsere Schlafsäcke behalten uns schön warm. Nur die vielen Eiskristalle am Innenzelt und die kalte Nasenspitze erinnern uns am Morgen an die frostigen Temperaturen unserer wohl höchsten Zeltnacht auf knapp 5000 Metern. Das aus dem Schlafsack Kriechen fällt nicht allen gleich leicht und gelingt erst mit einer warmen Tasse Kaffee – dem privaten Superkoch sei dank! Nach dem abermaligen Bestaunen der in der Morgensonne goldig aufleuchtenden Fumarolen holpern wir auf einer doch eher sandigen und mit Wellblech durchzogenen Fahrbahn der Laguna Colorada entgegen. Zum Glück können wir das anfänglich sehr langsame vorwärts Kommen – wir schaffen knapp 4-5 km/h – bei der Abfahrt etwas erhöhen. Doch die Köpfe holpern etwas mit; wir können uns nicht so recht entscheiden, ob das Fahren auf solchen Pisten noch Spass macht oder einfach nur ein ‘Chrampf’ ist. Die Stimmung mag sich erst beim Anblick der durch Algenaktivität knallrot gefärbten Laguna Colorada heben und steigert sich noch mehr bei den leckeren Spaghetti, die wir am Abend im Refugio von zwei kichernden Teenies serviert bekommen.  

Laguna Colorada

Laguna Colorada

Der nächste Morgen begrüsst uns mit einer Wolkendecke und einem Parkwächter, welcher Schnee vorhersagt. Kurze Verunsicherung, aber wir vertrauen jetzt mal unserem persönlichen Barometer von Christophs Uhr und nehmen den nächsten sanften Anstieg in Angriff. Auf der Höhe werden wir von skurilen, orange leuchtenden Felsformationen empfangen.  

Arbol de Piedra

Arbol de Piedra

Der Wind hat ihr ein schönes Werk gezaubert und bläst uns heute zur Demonstration stark ins Gesicht. 

Zwischen den verschiedenen Naturspektakeln liegt wieder mal viel Nichts, oder besser gesagt viel Wüste und mittendurch eine fadengerade Waschbrett-Strasse. Es ist schon etwas vom Speziellsten hier durch zu radeln; einerseits beeindruckend, einzigartig, fast meditativ, andererseits ein bisschen zu viel Sand und Steine und Nichts. Es bleibt für Beine und Kopf eine Herausforderung. Die Piste verzweigt sich schliesslich nicht nur in x Jeep-Tracks, sondern wird auch immer sandiger. 

Welche Spur darfs sein?

Welche Spur darfs sein?

Die Wahl der ‘besten’ Spur ist Pokersache, doch entweder haben wir das Händchen dafür oder unseren Klickpedalen sei dank erreichen wir fast ohne Stossen unser Tagesziel: Das Hotel del Desierto. Wir werden vom sehr freundlichen Personal begrüsst und können unser Glück kaum fassen, als wir ohne grosse Gesprächskünste ein nicht gebrauchtes Personalzimmer betreten. 

Die schönen Überraschungen

Die schönen Überraschungen

Noch glücklicher sitzen wir wenig später im beheizten Wintergarten des luxuriösen Hotels und geniessen ein kaltes Bier und die in der Abendsonne aufleuchtenden Berge. Zum Znacht begleitet uns Pink Floyd aus dem Handylautsprecher und wir schlafen wenig später wie Babys auf den noch neuen Hotelmatratzen. 

Am nächsten Morgen werden wir nicht nur vom Hotelchef herzlich verabschiedet, sondern zu guter letzt singt uns DJ Bobo noch ein Ständchen aus dem Hotellautsprecher für die Weiterfahrt in die Wüste. Mit den goldigen Grasbüscheln im Vordergrund und den in Rottönen schimmernden Bergen dahinter entsteht ein fast gar kitschiges Bild. 

Immerhin die Farben sind warm!

Immerhin die Farben sind warm!

Vielleicht ist es wegen den vielen Fotostopps oder doch eher wegen der sandigen Piste; auf jeden Fall erreichen wir den nächsten Pass erst eine gute Weile später. Die Abfahrt wird spektakulär: Nicht nur hat die Strasse die perfekte Neigung um es einfach rollen zu lassen, sondern bietet sich uns mit der weit unten schimmernden Lagune und den umliegenden mit Schnee bedeckten Gipfeln ein grandioses Panorama. Vielleicht war es Pink Floyd, vielleicht das kühle Bier und etwas Zivilisation, auf jeden Fall nagt die Einsamkeit heute deutlich weniger im Kopf und der Naturgenuss überwiegt komplett! Aus der Ferne entdecken wir plötzlich Pauline und Antoine, zwei französische Velofahrer, deren Spuren wir nun immer wieder im Sand entdeckt haben. Und zusammen mit Xavier und John, die wenig später eintreffen, gibt es eine lustige Velöler-Mittagspause. Ein kaputter Sitz (eines Liegevelos) wird geflickt, feuchte Schlafsäcke an der Sonne getrocknet, Pasta gekocht, Erdnüsse geknackt oder in unserem Fall Suppe mit Pasta angerührt. Jedes Team hat da so ganz seine eigenen Essens-Pausen-Taktiken. 

Velöler-Zmittag

Velöler-Zmittag

Wir brechen als erste wieder auf und schlängeln uns der Laguna Honda entlang. Vor lauter Herum Schauen, geraten unsere Räder immer wieder mal arg ins Wanken oder landen plötzlich wieder in einer dicken Sandschicht. Doch so richtig ins Schleudern kommen sie beim Anblick der nächsten Laguna, die uns so türkis entgegen leuchtet, als wäre sie eingefärbt. 
Lagunenspektakel

Lagunenspektakel

  Und nicht nur die Farbe lässt uns staunen, sondern ebenso die vielen Flamingos, die im Uferbereich herum stolzieren. Wir setzen uns in den Sand und beobachten fasziniert das rosarote Geschehen.  
...inklusive  Flamingoshow!

…inklusive Flamingoshow!

 Doch langsam neigt sich der Nachmittag dem Ende zu und wir wollen zusammen mit den Franzosen noch zur nächsten und letzten Lagune fahren, um dort zu zelten. Kurz vor Sonnenuntergang erreichen wir den Aussichtspunkt über die Laguna Cañapa, welche mit ihrer dunkelblauen Wasserfarbe und dem weissen, salzigen Uferbereich etwas Majestätisches hat.  

Wohl eine der schönsten Zeltaussichten

Wohl eine der schönsten Zeltaussichten

Wir verbessern ein Steinmäuerchen, um unser Zelt etwas vor dem Wind zu schützen. Doch für viel mehr reicht es nicht. Es wird schnell dunkel und bitterkalt. Wir verkriechen uns in unsere Zelte. Zum Glück sind wir meist genug müde, so dass wir nach 20 Uhr oft schon einschlafen oder noch einen Leseversuch starten, falls die Hände nicht am E-Reader einfrieren. Die WC-Ausflüge fallen diese Nacht besonders eisig aus; unser Thermometer zeigt schnell wieder -10 Grad an. Und bei dem solls auch bleiben, auf jeden Fall seitens des Velocomputers, welcher -wie wir heute bemerkt haben – sein Minimum erreicht hat. Technik ahoi, hilft uns die Uhr weiter und bestätigt uns unsere Vermutungen von gut -20 Grad. Naja, das wird hoffentlich eine der kältesten Nächte bleiben. Die Wetterbedingungen sind in der Tat extrem; doch unsere Ausrüstung hält ihre Versprechungen! 

Es gibt verschiedene Strategien...

Es gibt verschiedene Strategien…

Nach zwei Tassen warmem Kaffee, einigen Hampelmännern und der bergigen Weiterfahrt, ist nach den ersten Sonnenstunden auch der kleine Zeh wieder aufgetaut. Mittlerweile verwandelt sich die Fahrbahn immer mehr in eine kleine Geröllhalde; das Vorwärts Kommen verlangt volle Konzentration. 

Die Abfahrt vom Pässli erinnert dann definitiv an eine Mountainbike-Strecke, an der wir je länger je mehr unseren Spass finden. Die Jeeps lassen uns den Vortritt, geben uns Streckenauskünfte oder ein Handy wird zum Fotografieren aus dem Fenster gestreckt – nach wie vor alles harmlos!Als wir auf die internationale Strasse mit ihrem ‘glatten’ Schotter gelangen, sagen wir auch nicht nein und geniessen die Geschwindigkeitsverdreifachung. 

Vulkan Ollagüe inklusive unserem Lieblingsstrassenschild

Vulkan Ollagüe inklusive unserem Lieblingsstrassenschild

So flitzen wir mit Aussicht auf den rauchenden Vulkan Ollagüe durch rotgefärbte Gesteinsformationen und erreichen in Kürze unsere Abzweigung zum letzten Pass dieser Etappe. In den Beschrieben als sehr sandig charakterisiert, stellen wir uns auf anstrengende 20km ein. Doch einmal mehr werden wir positiv überrascht auf der von uns gewählten Jeep-Spur und erreichen bald die Flanke des pyramidenförmigen Vulkanes. Vor uns breitet sich das unendliche Weiss des Salars Chiguana aus. Mit diesem Ausblick fällt das Runtergeholper etwas leichter. Gleichzeitig drücken wir die Daumen, dass unsere Velölis diese doch eher ruppige Abfahrt heil überstehen. Immer wieder machen wir eine Schüttel- und Aussichtspause, sind die Muskeln sonst doch sehr angestrengt und der Blick starr auf den Boden gerichtet. 

Mountainbike-Test

Mountainbike-Test

Wir kommen alle heil unten an und wissen nun, dass biken auch ungefedert und mit Vollbeladung möglich ist. In einem ausgetrockneten Flusslauf finden wir einen windgeschützten Zeltplatz und geniessen die letzten wärmenden Sonnenstrahlen, bevor uns der Mond wieder die Nacht erhellt. Dank der letzten frostigen Nächte finden wir die -8 Grad schon angenehm warm. 

Feierabend

Feierabend

Langsam aber sicher freunden wir uns mit dem bolivianischen Winter an – und mit der Landschaft ebenso! Vor allem wenn es plötzlich so zügig vorwärts geht wie am letzten Tag unserer Etappe. Sobald wir auf den Salar rollen, fährt es wie von selber. Wir lassen uns den Fahrtwind übers Gesicht blasen und sind fasziniert von den glitzernden Salzkristallen und -krusten. 

Ein erster Salar-Geschmack

Ein erster Salar-Geschmack

Was für eine grandiose Landschaft inmitten der farbigen Vulkankegeln. Da kommen uns die verlassenen Häuser, der eingefallene Bahnhof und die Geleise fremd vor; wir fühlen uns plötzlich wie in einem Western. Als dann auch noch der ewig lange Güterzug vorbei fährt, ist das Bild komplett.  Erst die beiden Soldaten, die uns beim naheliegenden Militärcamp begrüssen, lassen uns gedanklich wieder nach Bolivien zurück kehren. Mit aufgefüllten Wasserflaschen lassen wir die beiden hinter uns und geniessen nochmals das Sausen über die weisse Fläche. Die Gedanken können erstmals wieder etwas von der Fahrbahn abschweifen, bevor wir nach sieben Tagen unser erstes bolivianisches Dorf und damit das Ende der Lagunenroute erreichen. In San Juan werden wir von einer ‘Guggenmusig’ empfangen, welche durch die von Lehmhäusern gesäumten Gassen dröhnt. Was für ein Kontrast zur einsamen Natur der letzten Tage. Der Kontrast wird noch grösser, als wir in den Innenhof unseres Hostals treten. Ein alter gusseiserner Kronleuchter löst die Stirnlampe ab, eine heisse Dusche unsere Baby-Reinigungstücher und ein grosses weiches Bett unsere Mätteli. Beim drei-gängigen Nachtessen mit Kerzenlicht und Musik schliessen wir die Etappe ab: Ja sie hat einiges abverlangt, von den Beinen, aber vor allem von den Köpfen im Trubel mit Sand, Wüste und Einsamkeit. Doch dank sorgfältiger Planung und Ausrüstung, netten und wenigen Jeeps, kaum Wind, lustigen Velogspänlis und vor allem grandioser Naturspektakel gehört sie gleichzeitig zu den eindrücklichsten unserer Reise!

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